Die Vereinigung der Freizeitreiter und Fahrer „setzt sich zur Aufgabe, das Kulturgut Pferd zu pflegen.“ (Nachzulesen in der Satzung der VFD in § 2; Abs. 1.)
Für uns Mitglieder stellt sich die Frage, was diese Aufgabenstellung für uns bedeutet, wie wir ihr entsprechen können und welche Möglichkeiten es gibt, um diesen Auftrag zu erfüllen. Der Begriff „Pferd“ steht selbstverständlich immer auch für alle anderen in Frage kommenden Equiden: Esel, Mulis, Maultiere und Ponies Begriffe wie Freizeitreiter und –fahrer, Begleiter oder Partner stehen natürlich auch für Freizeitreiterinnen und –fahrerinnen, Begleiterinnen und Partnerinnen.

Ein Bericht von JosefSchrallhammer

Kriterien bei der Pferdewahl

Unser Hauptanliegen als Freizeitreiter und –fahrer ist es, für unsere Aktivitäten einen möglichst zuverlässigen, willig mitarbeitenden, gut ausgebildeten und lernbereiten vierbeinigen Begleiter zu finden, mit dem eine harmonische Partnerschaft entstehen kann.

Natürlich sollte neben dem Interieur auch das Exterieur keine Wünsche unerfüllt lassen: Eine robuste Gesundheit, ein korrektes Gebäude und Fundament sowie die passende Größe sind natürlich ebenso wichtig.

Wenn diese unumstößlich wichtigen Kriterien erfüllt sind, spielt die Rasse des Pferdes häufig nur noch eine untergeordnete Rolle. Dieses Argument klingt plausibel.

Denn das wichtigste bei der Auswahl oder beim Kauf eines Pferdes ist, dass es „klick“ macht: Man oder frau muss dem Pferd dann nur noch in die Augen schauen, um zu wissen, ob die Chemie stimmt. Am Ende steht die Gewissheit: „Dieses Pferd ist es - und kein anderes.“

Wenn man dann noch unsicher ist, genügt zur letzten Entscheidungsfindung heute ein Blick in die Abstammungsurkunde. Spätestens dann weiß man, was man hat: Im Supermarkt der Sportpferde fliegen die Namen hochtrabender Topvererber als Verheißung von Superlativen einem nur so um die Ohren. Ob sich diese dann erfüllen, ist die zweite Frage: Oft wird nämlich vergessen, zu prüfen, ob die so entstandenen Wunschvorstellungen den eigenen Möglichkeiten oder denen des Pferdes letztlich überhaupt entsprechen.

Keine Rolle spielt in diesem Moment, dass bei der Zucht von modernen Sportpferden durch Fokussierung eben auf eben jene Topvererber und auf die daraus resultierende Entwicklung einseitiger Nachfrage nicht nur eine länderübergreifende Vereinheitlichung der Rassen, sondern auch ein als kritisch zu beurteilender Verlust genetischer Vielfalt verursacht wurde und wird.

Betroffen vom Verlust genetischer Vielfalt sind gefährdete und vom Aussterben bedrohte Pferderassen leider ebenfalls. Die Gründe für die Einschränkung des genetischen Austausches sind hier der Rückgang der Populationsgrößen, fehlende Möglichkeiten des genetischen Austausches für die bedeutende „Blutauffrischung“ und Änderungen oder Einschränkungen der Selektionsbedingungen.

Eigene Möglichkeiten vs. Wunschvorstellungen

Die zuvor beschriebene Vorgehensweise der Pferdewahl hat unbestritten Erfolge, kann aber vor Enttäuschungen dann nicht schützen, wenn die Wunschvorstellungen die eigenen Möglichkeiten übersteigen. In Fachkreisen wird dieser Zustand „überberitten“ genannt: Die Möglichkeiten des Pferdes übersteigen dann die Möglichkeiten oder Fähigkeiten des zweibeinigen Partners.

Wichtiger wie die Frage „Was will ich mit diesem oder meinem Pferd unternehmen?“, ist nämlich die Frage „Was kann ich mit meinem oder diesem Pferd unternehmen?“

Auf den ersten Blick ein kleiner Unterschied - jedoch mit großer Wirkung.

Diese Wirkung stellt sich auch ein, wenn man oder frau sich vom Schein oder ersten Eindruck – dessen Bedeutung nicht widersprochen werden soll - hat trügen lassen.

Erfolg und Zufriedenheit stellt sich für Mensch und Pferd immer dann ein, wenn beide das gleiche wollen.

 

Das Pferd als Luxustier

Im Zusammenhang mit der erstgenannten Fragestellung, wird das Pferd häufig zum Luxustier hochstilisiert: Man oder frau schwebt dann in den Hemisphären der Reit- oder Fahrkunst und ist bemüht, die eigenen Möglichkeiten den Wunschvorstellungen sportlich steigernd anzupassen. Wenn dies gelingt: alle Achtung!

Pferdekunst und Pferdesport können begeistern, wenn ihre Ausführungen harmonisch sind, weil Möglichkeiten und Wunschvorstellungen sich ergänzen und übereinstimmen – wichtig dabei ist, die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes nicht zu vergessen und seiner Art zu entsprechen, was jedoch bei deren Missachtung zu Problemen führen kann und dann in öffentlichen Diskussionen fragwürdige Kritik von benachteiligten Möchtegerns, aber auch berechtigte Einwände „echter Pferdefreunde“ provoziert.

Der Reiz von Kunst und Sport ist eben, die Grenzen des Möglichen und Machbaren von Mensch und Pferd auszuloten, was aber nicht nur mit besonderen Anforderungen, sondern auch mit besonderen Risiken verbunden ist.

(Aktuelles Beispiel ist die berechtigte, aber fachlich zum Teil wenig korrekt geführte Diskussion über die reiterliche Entsprechung mit den Möglichkeiten eines Wunderhengstes wie Totilas, der vor kurzem leider verstorben ist.)

Schlagzeilen lassen sich eben nur mit Gewinnern, spannenden Turnieren, Megaveranstaltungen oder dramatischen Verlierern machen: „Brot und Spiele“, war deshalb schon das Motto im alten Rom. Und daran beteiligt wurden schon Pferde in waghalsigen Rennen mit römischen Kampfwagen, um die Grenzen des Möglichen auszureizen oder besser noch zu überschreiten.

So mag die waghalsige wie taktisch kluge Zähmung des Boukephalos ein Grund dafür sein, dass sich namhaften Herrscher (und auch die, die sich dafür halten) bis heute gerne „hoch zu Ross“ präsentieren – zur vermeintlich ewigen und allgegenwärtigen Demonstration ihrer Macht, die Wirklichkeit nach ihren Wunschvorstellungen zu beugen.

 

Das Pferd als Kulturgut

Von Pferden im vielfältigen und jahrhundertelangen Dienst des Menschen finden wir seltener ein Denkmal.

Wenn Wunschvorstellungen sich den Möglichkeiten beugen, verblasst gestaltende, künstlerische und sportliche Wirkung bei oberflächlicher Betrachtung.

Wenn Wunschvorstellungen sich den Möglichkeiten beugen, entsteht aber doch Kultur, die - nicht nur auf Nützliches begrenzt - in vielfältigen Formen und Traditionen zu blühen beginnen kann und Menschen Heimat gewährt.

Auf diese Weise war es Menschen in ihrer Beziehung zu Pferden dennoch möglich, in einer langen und wechselvollen Geschichte, sich und die Grenzen des Möglichen zu erschließen, um sie – nach Missbrauch des Pferdes in den Wirren kriegerischer Auseinandersetzung und Verabschiedung aus bewährtem Dienst – mit neuen technischen Mitteln schicksalhaft zu überschreiten.

Für viele Menschen hat die Wahrung von Kultur und Tradition aus diesen Gründen der Rückbesinnung besondere Bedeutung.

Über ihre Bedeutung als Kulturgut hinaus bieten heute gefährdete und vom Aussterben bedrohte Pferderassen zudem für die Gestaltung lebenswerter Zukunft und Mobilität in unterschiedlichen Bereichen nachhaltige Lösungen, die auf über Jahrhunderte bewährte Dienste beruhen und mehr Beachtung im Kampf gegen Klimawandel und Umweltbelastungen verdienen.

Im Gegensatz zu technischen Lösungen ist der Einsatz von Arbeitstieren zudem nicht nur eine Bereicherung natürlicher und gesellschaftlicher Vielfalt, sondern auch verbunden mit nicht zu übertreffender Schonung der begrenzt vorhandenen Ressourcen.

Ihre Verwendung für die Sicherung und Gestaltung einer lebenswerten Gegenwart und Zukunft kann eine der effektivsten Möglichkeiten darstellen, gefährdete und vom Aussterben bedrohte Pferderassen zu erhalten.

Rückkehr zu den Wurzeln – ein Beispiel

Johann Grandel, VFD Preisträger Fahren 2020, kann hinsichtlich seiner Wahl der für ihn und seine Vorhaben geeigneten Pferderasse ein Vorbild sein: Für seinen Ruhestand plante Johann Grandel eine Rückkehr zu den Wurzeln seiner Kindheit und Jugend als Pferde in die bäuerliche Arbeit auf dem elterlichen Hof noch integriert waren. Nach bestandenem Fahrabzeichen, einige Jahre vor seiner Pensionierung, begann eine vielseitige Laufbahn als Fahrer, für die Johann Grandel mit dem VFD Preis „Eiserner Gustav“ ausgezeichnet wurde. Seine Wahl fiel nach reiflichen Überlegungen und genauer Prüfung auf das Schwarzwälder Kaltblut. Vertreter dieser ihm bekannten Arbeits- oder Nutztierrasse hatten alle Vorzüge, die für ihn von Bedeutung sind: Schwarzwälder Kaltblutpferde sind menschenbezogen, unerschrocken und arbeitswillig. Sie sind als heimische Rasse an unsere natürlichen Gegebenheiten angepasst. In ihrem Bestand gefährdet, verdienen sie nach über Jahrhunderte bewährtem Einsatz in der bäuerlichen Land- und Forstwirtschaft eine neue Zukunft auch als zuverlässige und gutmütige Fahrpferde im Freizeitbereich. Der Erfolg seiner Wahl liegt in der Ausrichtung nach seinen Möglichkeiten und nicht nach unter Umständen uneinlösbaren Wunschvorstellungen. Positiver Effekt seiner Vorgehensweise: Mit der Zeit wuchs Johann Grandel über seine anfänglichen Möglichkeiten hinaus. Partnerschaft bedeutet eben auch, miteinander wachsen.

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