Auf dem Meeresboden reiten…
Vom 5. bis zum 7. August verwirklichten 12 Reiterinnen auf Initiative des VFD-Bezirksverbandes Hildesheim dieses besondere Erlebnis. Alle sechs Stunden und das zweimal in 24 Stunden gibt die Ebbe das Watt vor Sahlenburg/Cuxhaven frei. Was viele ambitionierte Reiter auf kostspielig angelegten Reit- und Turnierplätzen vorfinden, gibt es hier für lau und in bis zum Horizont reichender Weite. Für einige Pferde-Reiter-Paare war es das erste Mal: dieser frische Wind, der Geruch nach Tang und Salzwasser - mal mehr mal weniger tief -, dazu der manchmal leicht matschige, aber trotzdem tragfähige Boden. Und wer hatte nicht schon von Situationen gehört, in denen plötzlich die Flut kam oder abseits der Routen Menschen und Pferd im Watt steckengeblieben wären!
Dementsprechend aufgeregt trafen die Teilnehmerinnen mit den Gespannen auf dem Anhänger-Parkplatz in Sahlenburg ein. Da das Wetter nicht kompromisslos freundlich war und die Wattzeiten einen Abritt spätestens um 9 Uhr vorgaben, fehlten die spontanen Tagesurlauber mit Pferd und der Parkplatz gehörte den VFDlern. Der Abritt verzögerte sich etwas, dadurch blieb mehr Zeit zum ersten Kennenlernen, Fertigmachen und Verabschieden der Gespanne für die nächsten zwei Tage. Rittführerin Jessi Tietjen aus Lilienthal bei Bremen musste noch ein allein reisenden Pferdes in einen Pferdeanhänger verfrachten, der mit einem Trecker auf der Strecke der Wattwagen hin zur Insel Neuwerk gezogen werden sollte. Auch das in Plastiksäcke spritzsicher verpackte Gepäck für die Tage auf Neuwerk musste noch beim Wattwagen aufgeladen werden, der immer kurze Zeit nach den Reitern startet, wenn das Wasser noch weiter gefallen ist.
Mit genügend Zeitpuffer bis zum nächsten Hochwasser startete die Gruppe mit respektvollem Abstand zu Wattwagen, Treckern und meistens auch Fußgängern.
Der erste Trab ließ nicht lange auf sich warten, um bei den angespannteren Zwei- und Vierbeinern etwas Dampf abzulassen, rechtzeitig vor dem ersten „Hindernis“. Beim Sahlenburger Loch reichte das flott querab strömende Wasser den zierlicheren Pferden bis knapp an die Ellenbogen. Über dicke Steinbrocken, die diese Engstelle überhaupt erst passierbar machen, balancierten die Pferde eines hinterm anderen sicher auf ruhigeres Terrain. Hier sorgten Rittführerin Jessi und die „Wiederholungstäter“ in Sachen Watt mit ihren Pferden für Ruhe und Gelassenheit in der Gruppe, ebenso wie bei den anschließenden schnelleren Passagen. Es zeigte sich einmal mehr, wie gut das Einmaleins des Wanderreitens auf solche herausfordernden Erlebnisse vorbereiten kann. Wahlweise Reiten in Einer- oder Zweierformation, genügender Abstand nach vorne und zur Seite, kein Überholen ohne ausdrückliche Erlaubnis, Disziplin beim Forcieren oder Einfangen des Tempos, Weitergabe von Kommandos verbal und mit Zeichen und ständige Wachsamkeit für das eigene und die anderen Pferde sorgt für ein entspanntes Miteinander, auch in größeren Gruppen.
Kurz vor der Auffahrt nach Neuwerk gab Jessi den Galoppierwilligen noch die Freigabe zu einem flotten Abstecher entlang der Prickenreihe Richtung Hafen. Sie selbst wartete mit dem Rest der Gruppe, bis die vier Flitzer Hin- und Rückweg vergnügt hinter sich gebracht hatten und in leichtem Trab auf entspannt schnaubenden Pferden wieder aufschlossen.
Gemeinsam enterten wir das Gebiet von Hamburg – denn zu dieser Stadt gehört Neuwerk! Damit ist auch der Leuchtturm offiziell das älteste Gebäude der Hansestadt an der Elbe, Anfang des 14. Jahrhunderts erbaut!
Unter fröhlichem Geklapper und Geplapper erreichten wir die Anbindebalken des Pferdebetriebs Griebel, wo wir absattelten, einige Leckerlis oder Zwischenmahlzeiten verputzten und die Pferde anschließend auf die große Wiese Richtung Leuchtturm auf der linken Seite entließen. Viele ließen es sich nicht nehmen, sich erstmal herzhaft zu wälzen. Andere tobten als Gruppe ausgelassen übers Grün, während die Schimmelchen im Zweierpack davongrasten. Die Grasnarbe enthält vielfältige Magergräser und Kräuter, sodass nach Auskunft der Stallchefin selbst Rehepferde auf Neuwerk problemlos zurechtkommen.
Da es noch einige Zeit dauerte, bis das Gepäck und damit auch die Schlafsachen für´s Strohlager mit dem Wattwagen anlandeten, genossen wir die sonnige Terrasse „Achtern Diek“. Von Freitag auf Samstag waren das Strohlager und die darunter liegenden Wasch- und Duschräume fast ausschließlich von unserer Gruppe belegt. In der zweiten Nacht folgten Großeltern mit Enkeln und ein Junggesellenabschied mit Grillen bis fast zum Morgengrauen…
Nach einem leckeren Eintopf schlenderten wir durch ein Weidetor über die Rinder- und Pferdewiesen Richtung Nordsee, die am 5. August um 15.50 Uhr ihren höchsten Wasserstand erreichte und damit auch die Abfahrt der „Flipper“ nach Cuxhaven ermöglicht. Sicheres Baden ist nur in den zwei Stunden bis Hochwasser an der nahe gelegenen Badestelle möglich. In der auflaufenden Flut war diese nur durch eine Kletterpartie über die Steine oder die hölzerne Flutwand erreichbar. Dierk und Birgit nutzten das trotzdem mehrmals – wer noch? Einiges Strandgut, aber kein Bernstein fand sich dort auch, das Wasser hatte angenehme 21 Grad.
Gegen halb sechs saßen sechs Reiterinnen bereits wieder beim Essen und Trinken. Denn die seltene Gelegenheit zu zwei Ritten am Tag sollte noch für einen Abendritt zur Elbfahrkante genutzt werden.
Die anderen verzichteten dankend, wegen Schlafmangels durch das frühe Aufstehen oder weil ein ausgiebiges Abendessen „Zum Anker“ später lockte, wenn die meisten Tagesurlauber die Insel zu Fuß oder im Wattwagen verlassen haben würden.
Im großen Bogen durch weitere Priele, Kolonien von Wattwürmern und beäugt von zahlreichen Vögeln sahen wir bald die Leuchttonnen des Elbfahrwassers und einige große Pötte, die sich aus Hamburg kommend in die Weltmeere aufmachten. Nachdem die Pferde nun den ganzen Tag an die platte weiter Fläche gewöhnt waren, quittierten einige die ersten giftgrünen Tangbüschel mit einem erschreckten Satz zur Seite. Danach folgten aber herzerfrischende Trabs und Galopps, wahlweise im seichten Wasser oder auf dem trocken gefallenen Wattboden. Auch Frau Griebel war mit einem Traber vor dem Sulky unterwegs und warnte uns noch vor trügerischen Wattregionen, die in jedem Jahr anders liegen können. Rechtzeitig vor Sonnenuntergang erklommen wir wieder Neuwerk, brachten die Pferde in Boxen oder auf der Wiese ins Bett und trafen uns noch kurz zum Absacker im „Anker“.
Echt frühes Frühstück im Bauch ging es am Samstag mit der ganzen Gruppe zur Elbe.
Ein frischer Wind, graue Wolken und kurz vor Abritt noch ein „Tornadochen“ am Horizont – die Nordsee zeigte sich von ihrer rauen Seite. Da die Wolkenwand aber von unserer Route wegtrieb, enterten wir erneut das Watt. Durch den Neumond in derselben Woche lief das Wasser spät ab und wir ritten im Schritt durch die leicht matschige Oberfläche. Spektakulär brach bald die Sonne durch die Wolken. An der Elbkante war die glitzernde seitliche Dünung den Pferden noch etwas unheimlich, aber bald genossen sie die Trabs und Galopps im fesseltiefen Wasser oder auf trittfesten Sandbänken genauso wie die Reiterinnen! Auf der Sandbank war auch Zeit für einen ausführlichen Fototermin mit Dierk, der zu Fuß auf direktem Weg gekommen war – unser neues Profilbild der „Wilden 13“!
Wichtige Erkenntnis: Unterwegs schlapp machen gilt nicht, notfalls würde die ganze Gruppe im Schritt zurück reiten. Für den optimalen Spaß ist es daher wichtig, dass alle Mitreiter nicht nur ihre Pferde, sondern auch sich selbst konditionell und nervlich auf die elf bis 18 Kilometer langen Törns vorbereiten. Und im Notfall sollte auch jeder vom platten Watt aus wieder auf sein Pferd aufsteigen können, denn die sonst so wünschenswerten Aufstiegshilfen gibt es da nicht!
Gemütlich verging der weitere Tag mit klönen, schmausen, baden, lesen, schlafen. Immer wieder interessant zu beobachten waren die neu entstandene Herde und Interaktionen der bis vorgestern noch fremden Pferde untereinander. Erneut gab’s abends leckeres Essen, ehe wir die „Bar Wolkenlos“ eroberten. Im ersten Stock „Achtern Diek“ gelegen konnten schmackhafte Cocktails – mit und ohne – genossen werden und immer wieder durch die bereits gestellten Ferngläser die Schiffe auf der Elbe begutachtet werden. Es soll sogar ein Programm geben, das die Tonnage, Reederei, Heimathafen und Namen der vorbei fahrenden Schiffe angibt. Dass man dort auch den Geburtstag des Kapitäns erfahren kann, muss wohl als Seemannsgarn abgetan werden!
Am Sonntag frühstückten wir bereits um 6.45 h wegen weiterer abreisender Gäste, packten unsere Säcke, sattelten in Ruhe die Rösser und traten bei gutem Wetter den Heimritt nach Sahlenburg an.
Wieder erlaubte uns Jessi eine Extra-Galopptour quer zur Route. Die Ankunft an Land wurde gekrönt durch einige lehrbuchmäßigen Manöver der ganzen Abteilung, denn die ankommenden und abfahrenden Wattwagen haben immer Vorfahrt vor den Reitern. Das gilt auch für die Passage am Sahlenburger Loch und an den Auffahrten aus dem Watt. Endlich klapperten wir an den hohen Häusern entlang zu den Anhängern bzw. zur Übernachtungsstation einige Kilometer landeinwärts. Danke, dass alle fröhlich und unversehrt diese schöne Tour mitmachen durften!
VFD-Mitglied Birgit Landwehr und "Joschi"