Mit diesem eigenwilligen Zitat einer russischen Zoologin konfrontiert Jean-Louis Gouraud, der Grandseigneur der französischen Pferdeliteraten seine Leser in seinem neuesten kleinen Buch mit dem Titel „Le cheval c'est l'avenir“ (Das Pferd ist die Zukunft).

Er liefert dazu eine griffige Begründung: Mit dem Hund oder der Katze mögen Menschen leicht eine eher kumpelhafte Beziehung eingehen, denn sie sind uns in Lebensweise, Ernährung und manchem mehr recht nah. Anders das Pferd!

Als Wesen der Weite, Grasfresser und Überlebenskünstler auf karger Nahrungsgrundlage, oft übervorsichtig mit einem Hang zur Klaustrophobie (Angst vor engen Räumen) sind sie uns recht fern, diese Wesen mit Mähne und Schweif.

Das gilt zwar auch für Rinder, Ziegen und Schafe, aber mit diesen geht der Mensch eher keine so innige Beziehung ein, er setzt sich fast nie darauf, um im wilden Galopp oder dem präzisen Paartanz eine kentaurische Beziehung mit ihnen einzugehen.

Dieses Spannungsfeld von Ferne in der Herkunft und großer Nähe in der Gegenwart gebietet nach Jean-Louis Gourauds Überzeugung ein hohes Maß an Höflichkeit!

Wer schon einmal versucht hat, seinem Pferd mit höflichem „Bitte und Danke" zu begegnen, in dem Bewusstsein, dass auch 50 Jahre des nahezu täglichen Umgangs mit Equiden nicht ansatzweise reichen, um sie wirklich bis auf den Grund ihrer Seele zu verstehen, hat vielleicht erfahren, dass Jean-Louis Gouraud hier wahrlich nicht theoretisiert, sondern ganz praktisch denkt.

Worum geht es noch?

Auto versus Pferd Gouraud 2Er lässt uns 110 Jahre zurückschauen, als Reifen- und Automobilhersteller noch ganz am Anfang waren. Und mit Werbekampagnen die Vorteile der Zukunft, der sorgenfreien automobilen Fortbewegung im Vergleich zur altbackenen, oft schwierigen, unvorteilhaften Handhabung von Pferden herausstellten. Seitdem ist viel geschehen.

Aktuell hat uns die Corona-Pandemie einmal mehr deutlich gemacht, wie sehr wir uns von unserer Mitwelt, von der Natur, deren Teil wir sind, durch eine technische, zunehmend digitale, elektronisch vernetzte Lebensweise entfernt haben.

Jean-Louis Gouraud sieht im Pferd einen wichtigen Mittler für uns, dies grundlegend zu ändern. Vehement tritt er dem Ansinnen mancher entgegen, man dürfe Pferde nicht als Reit- oder Zugtiere nutzen, weil das „unethisch“ sei.

Er zitiert Ethologen, die den Weg des Pferdes in der modernen westlichen Welt als „von der Arbeit zur Freizeit“ und „vom Krieg zum Frieden“ beschreiben.

Dürften wir Pferde nicht mit dem gebotenen Respekt nutzen, gäbe es bald kaum noch welche! Mit der ihm eigenen Eloquenz stellt er vor diesem Hintergrund ein Fünf-Punkte-Forderungsprogramm auf:

  • Pferde haben ein Anrecht auf die Dankbarkeit des Menschen!
    Und wenn es nur für die Dienste wäre, die sie für uns in den vergangenen fünf bis sechs Jahrtausenden erbracht haben!
  • Pferde verdienen unseren Respekt und unser Wohlwollen,
    denn sie sind Lebewesen, die mit Intelligenz und Feinfühligkeit ausgestattet sind!
  • Pferde haben das Recht, gemäß ihren Bedürfnissen untergebracht, ernährt und versorgt zu werden!
    Bedürfnisse, die wir Dank des Fortschritts in der Wissenschaft der Ethologie immer besser und präziser kennen lernen.
  • Pferde haben das Recht, zu arbeiten und zu spielen, wenn ihnen dies Freude macht!
    und wenn es ihnen keine Freude macht, ist es an uns, dies klar zu erkennen.
  • Pferde haben das Recht, eine Ausbildung und eine Erziehung zu erhalten,
    die es ihnen erlaubt, in unserer heutigen, menschengemachten Welt zurecht zu kommen.

Gouraud sieht Arbeit und Spaß des Pferdes vor allem im Draußen-Reiten dicht bei einander. Ähnlich wie für Binding (Das Heiligtum der Pferde) ist für ihn ohne Draußen alles nichts. Er weiß, wovon er schreibt.

Vor 31 Jahren ist er in 77 Tagen mit zwei französischen Traberstuten von Paris nach Moskau geritten. Und hat seine beiden Pferde anschließend Michail Gorbatschow, dem Architekten von Glasnost und Perestroika geschenkt. Als später Jelzin an die Macht kam, hat er sie zurück gefordert. Vielleicht weil Jelzin mehr dem Wodka als dem Glasnost zuneigte.....Was natürlich verweigert wurde. Zurück geholt hat er sie trotzdem. Es soll ein wenig Wodka im Spiel gewesen sein.

Le cheval cest lavenir Titel 2Es tut gut, in diesen Zeiten von Jean-Louis Gouraud die Sätze zu lesen:

„Je mehr wir urbanisiert, mechanisiert und informatisiert werden, desto mehr ist uns das Pferd unersetzlich, weil es unser letzter wahrer Kontakt zu einer wahren Natur ist.

Auch wenn der Mensch in der Stadt lebt und sich mehr und mehr in einer virtuellen Welt entwickelt, bleibt er doch einfach nur ein Säugetier mit Instinkten, welches täglich erfährt, dass auch die schnellste Internetverbindung seine vitalen Bedürfnisse nicht befriedigen kann.“

 

Ihm gelang übrigens eine spannende Entdeckung: In den Steinzeithöhlen Frankreichs (Lascaux und Chauvet z.B.) machen die Pferdezeichnungen mehr als ein Drittel aller dargestellten Tierarten aus. Im Verhältnis zur mutmaßlichen Häufigkeit sind Wildpferde offensichtlich überrepräsentiert.

Was ihn zu dem Schluss verleitet, dass das Pferd schon vor 35.000 Jahren eine große Faszination auf Menschen ausübte.

Nun fragt er sich schon lange, warum es weitere 30.000 Jahre gedauert hat, bis sich ein Mensch daran wagte, ein Pferd anzuspannen und später zu reiten.

Ob der Mensch diese 30.000 Jahre gebraucht hat, die nötige Höflichkeit zu erlernen?

Text: H.M. Pilartz; Bilder Gouraud; Titelbild Karin Kropf

Anmerkung: Jean-Louis Gouraud wurde 2019 der „Eiserne Gustav“ der VFD verliehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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