Im idyllischen Schweizer Nationalgestüt in Avenches wurde am 29.6. und 30.6.2017, geladen von der IGN, in einem Forum aus Ethologen, Tierschützern, Reitverbänden, Behördenvertretern und Praktikern, Fragen rund um das aktuelle Thema
„Nutzung und Wohlergehen von Pferden: ein Widerspruch?“ erörtert: In 3 Themenblocks stellten zunächst die anerkanntesten Wissenschaftler ihres Gebietes die neusten Forschungsergebnisse vor. Die Freiberger des Schweizer Nationalgestüts verdeutlichten, kommentiert von den Experten, das theoretisch vorgestellte direkt am Pferd in einem anschließenden Demonstrationsblock. Ein Gremium aus Wissenschaftlern, Richtern, Behördenvertretern, Reitverbänden und Praktikern diskutierten direkt im Anschluss in einer Podiumsdiskussion, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch in die Praxis Einzug erhalten und umgesetzt werden können.
Themenblock 1: „Woran erkennt man, dass ein Pferd bei der Nutzung überfordert ist?“
Das Wohlergehen wird in ein körperliches und emotionales Wohlergehen unterteilt. Objektive Parameter für das Wohlergehen sind: physiologische und Verhaltens- Parameter. Physiologische Parameter werden durch Stress und Schmerz beeinflusst und lassen sich durch Blut- und Speichelkortisolmessungen, und durch Herzfrequenzvariabilitäten messen und erfassen, diese Messmethoden sind aber nicht praxistauglich. Die Veränderung im Verhalten sind dahingegen sehr gute Indikatoren für Stress und Schmerz in der Praxis. Übersprungsverhalten (Lecken, Kauen, Gähnen, Kopfschleudern in unpassenden Situationen) ist ein Konfliktanzeiger. Zur „erlernten Hilflosigkeit“ neigen vor allem die passiven Reaktionstypen unter den Pferden, hier werden unangenehme Zustände nicht mehr aktiv von den Pferden vermieden, sondern passiv ertragen. Diesen Zustand gilt es zu Erkennen. Mit Hilfe des Ausdrucksverhalten (Mimik und Gestik) des Pferdes wird der emotionale Zustand des Pferdes bestimmt. Eine Überforderung kann mit Hilfe von Displays (zB.: Entspanntheit, Irritation, Angst..., Schmerz) erkannt werden. Für die Erfassung der Schmerzmimik gibt es sogar schon eine App auf Grundlage der Horse Grimace Scale (HGS).
Fazit: Es gilt diese Grundlagen der Mimik und Gestik auch in die Ausbildung der Reiter, Reitlehrer, Ausbilder zu integrieren, so dass Überforderung / Schmerz auch erkannt werden! Verhaltensbeobachtungen ermöglichen eine qualitative Beurteilung des Wohlergehens auch für Richter, Tierärzte und geschulte Personen.
Auch bei gerittenen Pferden können aus größerer Entfernung (60m) „grobe“ aber offensichtliche Verhaltensparameter, wie Schweifschlagen erkannt und beurteilt werden. Schweifschlagen ist z.B.: ein Indikator für Unwohlsein, eine Reaktion auf Sporenstich, Gerteneinsatz und als Reaktion auf Schmerz. Ein weiteres offensichtliches Kriterium ist die Kopf-Hals-Position. Sie ist auch aus der Ferne sichtbar. Reiten mit der Stirn-Nasenlinie hinter der Senkrechten ist laut aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand abzulehnen. Auch ungewöhnliches orales Verhalten, wie Zunge zeigen, Öffnen des Mauls und Übertriebenes Kauen gehört zu diesem offensichtlichen Verhalten. Ist ein Reithalfter zu eng verschnallt, löst das eine Stressreaktion aus, verhindert das Kauen und kaschiert damit auch ungewöhnliche orale Verhaltensweisen. Um auf Turnieren, ein Leiden der Pferde auszuschließen, wird die Forderung von Reithalfterkontrollen bei tropfender, schaumiger Speichelbildung und generellen Auffälligkeiten aufgestellt.
Generelles Fazit: Generell sind schon Regeln zur Beobachtung von Pferd und Reiter / Handlungsleitfaden für Richter zur Aufsicht auf dem Abreiteplatz vorhanden, diese werden aber nicht umgesetzt.
Im Anschluss an den Themenblock nutzen das VFD-Ethikrat-Mitglied, Kathrin Kienapfel (Ruhruniversität Bochum) und die Chefredakteurin der CAVALLO, Melanie Tschöpe, die Gelegenheit, um dem Vertreter der Deutschen reiterlichen Vereinigung FN, Thies Kaspereit (Leiter der FN-Abteilung Ausbildung und Wissenschaft) die Unterschriften der, von der VFD unterstützten, Aktion “Einführung eines einheitlichen Messsystems zur Kontrolle von Sperr- und Nasenriemen“ bei Turnieren, zu übergeben.
Ende Teil 1 - weitere Berichte folgen.
Bericht und Fotos: Vanessa Tegtmeyer