Stammtisch - Bericht vom 14.11.06
Thema: Recht im Pferdealltag
Referentin: Rechtsanwältin Michaela Nolte, Spezialistin für Pferdesportrecht und Tierarzthaftungsrecht
Die Reitbeteiligung
Reitbeteiligungen sind sehr beliebt - bei Pferdebesitzern, die nicht immer Zeit haben und Reitern, denen das Geld für einen eigenen Vierbeiner fehlt. Der häufigste Fall ist eine Reitbeteiligung in der Form, dass der Pferdehalter sein Pferd einem anderen Reiter gegen Bezahlung zum Reiten zur Verfügung stellt. Ist jemanden nur die zeitliche Entlastung wichtig, kann es auch vorkommen, dass er die Reitbeteiligung unentgeltlich reiten lässt.
Normalerweise läuft auch alles gut. Aber was passiert, wenn ein Reiter bei einem Unfall mit dem fremden Pferd verletzt wird? Oder wenn dieser Reiter einen Schaden – z.B. bei einem PKW – verursacht, weil das Pferd gescheut hat? Und wie verhält es sich, wenn das Pferd durch eine Unachtsamkeit des Reiters zu Schaden kommt?
10 Fragen rund um das Thema „Reitbeteiligung“
1. Haftet der Pferdehalter, wenn der Reitbeteiligung mit seinem Pferd etwas passiert?
Grundsätzlich haftet jeder für Schäden, die er schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat (BGB §823). Vorsätzlich handelt derjenige, der eine andere Person oder Sache absichtlich schädigt. Fahrlässig handelt derjenige, der einfach unvorsichtig ist.
2. Haftet der Pferdehalter auch dann, wenn das Pferd ohne das Zutun des Pferdehalters einen Schaden verursacht?
Speziell für den Halter von Luxustieren – und hierunter fällt das private Reitpferd – gilt der strenge Maßstab der Gefährdungshaftung, d.h. der private Tierhalter haftet für (fast) alle Schäden, die sein Pferd verursacht.
Anders ist es bei sogenannten Nutztieren, also Tiere, die aus Erwerbsgründen gehalten werden (z.B. Pferde einer gewerblich betriebenen Reitschule). Auch die Reitschule haftet grundsätzlich, jedoch nach dem Prinzip der sogenannten Verschuldungshaftung. Kann die Reitschule nachweisen, dass sie bei der Beaufsichtigung ihrer Tiere Korrekt gehandelt hat, haftet sie nicht.
3. Wer ist eigentlich „Halter“ eines Pferdes?
Für den Tierhalter gibt es keine eindeutige gesetzliche Definition. Man ist sich nur darüber einig, dass ganz bestimmte Kriterien vorliegen müssen, die den Halter definieren. Ein Beispielsfall soll dies verdeutlichen:
Herr Ahnungslos, der nicht reiten kann, hatte ein Pferd als Kapitalanlage gekauft und es auf seine Kosten zur Ausbildung gegeben. Außerdem erlaubte er einem Freund, regelmäßig zu reiten. Der Freund verletzt sich auf einem Ausritt und verlangt von Herrn Ahnungslos die Bezahlung der Heilungskosten und Schmerzensgeld.
Entscheidend für die Verpflichtung zur Zahlung war, ob Herr Ahnungslos Halter geblieben ist, obwohl er das Pferd völlig dem Ausbildungsstall überlassen hatte. Der Rechtsstreit ging bis zum Bundesgerichtshof. Dort wurde entschieden, dass Herr Ahnungslos Halter geblieben ist, weil
- er im eigenen Interesse die Sorge für das Tier (Nahrung und Obdach auf seine Kosten) übernommen hat
- am Wohlergehen des Tieres interessiert ist
- und das wirtschaftliche Risiko eines Verlustes ertragen hat (BHG, VersR 77, 864)
Herr Ahnungslos musste als Tierhalter somit seinem Freund den entstandenen Schaden ersetzten, d.h. die Arztkosten und das Schmerzensgeld bezahlen.
4. Kann man daraus schließen, dass man als Eigentümer zugleich auch Halter ist?
In den meisten Fällen dürfte dies so sein. Ausnahmen können entstehen, wenn das Pferd für längere Zeit vermietet oder verpachtet wird. Wenn der Mieter oder Pächter das Tier gewerblich im eigenen Interesse nutzt, kann er zum „Mithalter“ werden und ebenfalls nach der Tierhalterhaftpflicht (§ 833, S.1) haften.
5. Nach dieser Rechtslage erscheint es sehr riskant, das Pferd in fremde Hände zu geben – zum Beispiel einer Reitbeteiligung oder Freunden, die gerne einmal reiten möchten. Wie ist da die Rechtslage?
Bekanntlich hört die beste Freundschaft dort auf, wo Geldprobleme anfangen. In Reiterkreisen wird verstärkt diskutiert, wie sich die Haftungsfrage stellt, wenn der Pferdehalter sein Pferd aus Gefälligkeit und unentgeltlich an einen Dritten überlässt und dieser durch einen Reitunfall zum Schaden kommt.
Der Bundesgerichtshof hatte gerade in den letzten Jahren mehrfach Gelegenheit, zur Gefährdungshaftung des Pferdehalters bei Reitunfällen Stellung zu nehmen, wobei jeweils der mit dem Pferd des Pferdehalters verunfallte Reiter als Kläger auftrat:
a) Im Jahr 1992 hatte der BGH über einen Sachverhalt zu urteilen, wie er in dieser oder ähnlicher Gestaltung häufig anzutreffen ist und ebenso häufig Gerichte beschäftigt. Die Pferdebesitzerin stellte ihrer Freundin ihr Pferd zur Verfügung, damit diese an einer Reitstunde unter Leitung des Reitlehrers teilnehmen konnte. Das eigene Pony der Freundin war verletzt. Nach leichtem Gebrauch der Gerte buckelte das Pferd und warf die Freundin ab, die sich dabei erheblich verletzte.
Nach Auffassung des BGH waren die Haftungsvorraussetzungen der Tierhalterhaftung gem. § 833 Satz 1 BGB in vollem Umfang zu bejahen. Das Einsetzen der Reitgerte ändere nichts daran, das sich mit dem verhängnisvollen Buckeln des Pferdes eine in der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens liegende Gefährdung verwirklicht habe, für die der Pferdehalter den Verletzten schadlos halten müsse. Die in diesem Zusammenhang immer wieder diskutierte Konstellation der Haftungsfreistellung hat der BGH eindeutig verneint.
b) In einer weiteren Entscheidung des Jahres 1992 war eine 15-jährige Klägerin zu Schaden gekommen, die trotz eindringlicher Warnungen ihrer Mutter mit einem ihr aus Gefälligkeit überlassenen Pferd des Beklagten ausgeritten war. Der erhebliche Körperschaden war auf ein unerwartetes Bocken und Scheuen des Pferdes zurück zuführen. Der Bundesgerichtshof gab der Klage unter Berücksichtigung eines Mitverschulden statt.
In den Vorinstanzen kam es zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen der Rechtslage. Der Bundesgerichtshof hat schließlich die Tierhalterhaftung der jeweiligen Beklagten bejaht. Nach Auffassung des BGH komme es nicht darauf an, dass das Reitpferd noch nie zuvor ein vergleichbares Verhalten gezeigt habe. Eine spezifische Tiergefahr verwirkliche sich auch dann, wenn ein Pferd erstmals und auf eine fehlerhafte Hilfe des Reiters reagiere. Die Reaktion des Tieres auf menschliche Steuerung und die daraus resultierende Gefährdung habe ihren Grund in der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens, für die der Halter den Geschädigten schadlos halten müsse. Hat der Reiter durch vorherige Fehler dazu beigetragen, dass ihn das Pferd abwirft oder er vom Pferd fällt, kann dies allenfalls als Mitverschulden berücksichtigt werden.
6. Und wie wird die Tierhalterhaftung beurteilt, wenn der fremde Reiter an Turnieren oder Jagden
teilnimmt?
Die Tierhalterhaftung endigt nicht dort, wo der Reitsport beginnt. Sie greift vielmehr auch dann ein, wenn der Reiter sich zwar in Gefahr begeben hat – jedoch nur in eine Gefahr, wie sie normalerweise mit dem Reiten verbunden ist. Ein zum Ausschluss der Tierhalterhaftung führendes „Handeln auf eigene Gefahr“ kommt nur dann in Betracht, wenn sich der Reiter bewusst und ohne Not in eine besondere Gefahrensituation begibt und diese Gefahrensituation auch bewusst akzeptiert. Die Rechtssprechung hat den Haftungsausschluss aber nicht nur beim Reiten auf einem besonders schwierigen Pferd oder bei besonderen sportlichen Ereignissen wie Spring- oder Military-Prüfungen bestätigt, sondern auch bei einem selbstständigen Ausritt eines ausgebildeten Reiters mit einem von einem Anderen gehaltenen Pferd angenommen. So wurde argumentiert, dass - anders als bei normalerweise mit dem Reiten verbundenen Gefahr, vom Pferd abgeworfen zu werden – bei einem selbständigen Ausreiten ohne eine Aufsicht und Einwirkungsmöglichkeit des Tierhalters eine besondere Gefahr in Betracht komme. Bei einem selbständigen Ausritt wird das Pferd in den allgemeinen Verkehr mit seinen zum Teil unvorhersehbaren Situationen und in das Gelände mit von der Natur her gegebenen Umständen und den dort plötzlich eintretenden Ereignissen gebracht, was erhöhte Gefahren mit sich bringe, die der Reiter dann allein zu meistern habe. Gleiches gilt für eineTurnierteilnahme.
7. Kann man sich von seiner Haftung und von Schadensersatzansprüchen irgendwie befreien?
Als Pferdehalter sollte man für einen ausreichenden Versicherungsschutz sorgen. Durch eine Tierhalterhaftpflichtversicherung ist der Pferdebesitzer gegen Schadensersatzansprüche Dritter versichert, die gegen ihn auf Grund gesetzlicher Haftungsbestimmungen geltend gemacht werden, sofern der Schaden durch das Pferd des Versicherungsnehmers entstanden ist.
Mitversichert sind auch Ansprüche dritter Personen, denen der Pferdebesitzer sein Pferd gelegentlich und unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Damit ist das sogenannte Fremd – und Gastreiterrisiko bei der jeweiligen Tierhalterhaftpflichtversicherung mitversichert.
8. Fällt eine Reitbeteiligung unter das „Fremdreiterrisiko“?
Nein! Die ständige Reitbeteiligung fällt, da die einschlägige Rechtssprechung insoweit eine selbständige Mit-Haltereigenschaft des Beteiligten am Pferd annimmt, durch das regelmäßige Mitreiten nicht unter den Begriff des „Fremdreiters“ und ist daher durch eine Vielzahl von Tierhalterhaftpflichtversicherungen nicht mitversichert.
Die ständige Reitbeteiligung kann zwar kostenlos in den bestehenden Versicherungsvertrag aufgenommen werden und genießt dann den gleichen Versicherungsschutz wie der versicherte Pferdebesitzer selbst, da sie zu den mitversicherten Personen gehört. Mitversicherte Personen können aus dem Vertrag allerdings keine eigenen Schäden geltend machen. Das hat gleichzeitig zur Folge, dass Schäden, die der Reitbeteiligung durch das Pferd entstehen, nicht durch die Versicherung ersetzt werden. Auf der anderen Seite wird die mitversicherte Reitbeteiligung für den Fall, dass ein Schaden durch einen Reiterfehler verursacht wurde, nicht in Regress genommen, d.h. die Versicherung trägt dann den Schaden, der durch den Fehler der Reitbeteiligung im Umgang mit dem Pferd dritten Personen entstanden ist.
Einen zusätzlichen Schutz bietet sowohl für den Tierhalter als auch für die Reitbeteiligung die Privathaftpflichtversicherung. Sie bezahlt, wenn der Schaden nicht durch die Unberechenbarkeit des Tieres verursacht wurde, sondern ein Reiterfehler vorliegt. So zum Beispiel, wenn der Reiter zwar das Pferd unter Kontrolle hat, aber dennoch unachtsam eine Strasse überquert und dadurch einen Unfall verursacht. Es empfiehlt sich, das Wagnis „Reiten auf einem fremden Pferd“ zuvor mit seiner Haftpflichtversicherung zu besprechen und explizit in den Vertrag mit aufnehmen zu lassen.
Gleichzeitig empfiehlt es sich, eine Haftungsausschlusserklärung zwischen dem Pferdebesitzer und der Reitbeteiligung abzuschließen. Haftungsausschlüsse von der Tierhalterhaftung (§ 833 BGB) sind zwar grundsätzlich möglich, aber formal ziemlich kompliziert:
Seit neuestem darf kein vorgefertigter Vertragsvordruck mehr verwendet werden. Außerdem kann dieser Haftungsausschluss den Tierhalter allerhöchstens von der Haftung im Innenverhältnis (Pferdehalter/Reitbeteiligung) befreien. In vielen Verträgen wird folgende Klausel zwischen Pferdehalter und Reitbeteiligung festgehalten:
„Die Reitbeteiligung verzichtet auf Ansprüche gegen den Eigentümer aus §833 BGB wegen aller ihr durch das Pferd verursachten Personen-, Sach- und Vermögensschäden, soweit diese nicht durch die für das Pferd bestehende Tierhalterhaftpflichtversicherung abgedeckt sind.“
Weiter wird gern folgendes geregelt:
„Ferner stellt die Reitbeteiligung den Eigentümer im Innenverhältnis von Ansprüchen Dritter frei, insbesondere von Ansprüchen ihrer Kranken- und Sozialversicherung, soweit diese nicht durch die für das Pferd bestehende Tierhalterhaftpflichtversicherung abgedeckt sind.“
Dieser Ausschluss ist problematisch, da die Vereinbarung „inter partes“, also zwischen dem Pferdehalter und der Reitbeteiligung wirkt.
9. Kann man die Reitbeteiligung dafür haftbar machen wenn das Pferd durch sie zu Schaden kommt?
Was passiert also, wenn die Reitbeteiligung das Pferd zu einem unbekannten Pferd auf ein zu kleines Paddock stellt und es zu einer Rauferei mit ernsten Verletzungen kommt? Selbst bei der wohlwollenden Betrachtung, dem Pferd „Gesellschaft und Frischluft“ gönnen zu wollen, widerspricht dies dem üblichen sorgfältigen Umgang mit einem Pferd. In diesem Fall muss die Reitbeteiligung den Schaden ersetzten.
Ein Irrglaube ist es jedoch, wenn die Reitbeteiligung meint, diesen Schaden ihrer Haftpflichtversicherung zu melden. Diese zahlt nämlich nicht bei Miete, Leihe oder Pacht. In den „besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen“ von Haftpflichtversicherungen ist der Reiter zwar versichert, wenn er fremde Pferde zu privaten Zwecken nutzt und dabei Dritten Schaden zufügt; explizit ausgeschlossen sind jedoch Ansprüche des Tierhalters für Schäden an seinem Pferd. Es ist daher zu überlegen, für das Pferd eine Kranken und/oder Lebensversicherung abzuschliessen und die Kosten anteilig auf die Reitbeteiligung umzulegen.
10. Was tun bei Minderjährigen?
Allgemein haftet eine Person zwischen dem 7. und dem 18. Lebensjahr, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat (§ 828 BGB).
Nun stellt sich die Frage, inwieweit ein zwölfjähriges Mädchen tatsächlich einer möglichen Gefahr und deren Konsequenzen für sich und das Tier bewusst ist, wenn es mit dem Pferd über eine unübersichtliche Wiese galoppiert oder in der Dämmerung noch ausreitet. Bei Reitbeteiligungen mit Minderjährigen sollte daher stets beachtet werden, dass die Erziehungsberechtigten intensiv über die Art und den Umfang der Nutzung und der einhergehenden Gefahren informiert sind und das Kind entsprechend aufklären. Die Eltern müssen die angesprochenen Haftungserklärungen und den Reitbeteiligungsvertrag unterzeichnen und erklären, als Bürgen für Schäden an dem Pferd aufzukommen, die durch die Reitbeteiligung entstehen, da Kinder üblicherweise nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen.