Zwei Kinder sitzen jedes auf einem Pferd, gut bepackt mit Tüchern, Kuscheltieren und einem Ball. Sie reiten zum nächsten „Verkaufsstand“ und tauschen dort bei anderen Kindern ihre Güter gegen andere ein. Im Trab geht es zum nächsten Stand. Ganz vertieft in ihr Spiel genießen sie das Schwingen des Trabes. Um den Teddy nicht zu verlieren, ist nur eine Hand zum Festhalten frei. Die Freude am Spiel verdrängt die Unsicherheit. Die Kinder tauchen ein in die Welt des Spieles. Ihr Körper folgt den Bewegungen des Pferdes. So kann die Praxis der Hippopädagogik mit einer Gruppe von 6 bis 8 Kindern aussehen. Die Elemente der Psychomotorik werden mit dem Medium Pferd gekoppelt. Im Vordergrund steht die Freude am Spiel und an der Bewegung. Das Pferd wird als soziales Wesen und bewegendes Element eingesetzt. Das Kind erlebt und erfährt über Bewegung und Wahrnehmung sich und seine Umgebung. Über das handlungsorientierte Konzept der Motopädagogik (Psychomotorik) kann die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gefördert werden. Dieses Konzept kann für die Arbeit mit behinderte und nicht behinderten Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen erfolgreich eingesetzt werden. Die Hippopädagogik wurde von Juliane Deppisch (Diplom-Motologin) aus der Praxis heraus mit einer sehr guten theoretischen Grundlage entwickelt und 1998 als eigenständiges Konzept und Ausbildungsgang begründet.
Das Konzept
Die Grundsätze der Hippopädagogik sind in an den Bedürfnissen der Adressaten angelehnt:
- Die Menschen werden in ihrer Selbstbestimmung bestärkt und ihre Selbsttätigkeit wird gefördert. Die Angebote beruhen auf Freiwilligkeit.
- Die Arbeit bezieht die jeweiligen Situationen ein und lässt eine spontane Reaktion darauf zu.
- Die Orientierung an den individuellen Bedürfnisse eines jeden Einzelnen steht im Vordergrund. Dabei finden die Stärken und Fähigkeiten Beachtung und nicht die Defizite.
- Ein Wechsel zwischen An- und Entspannung auf physischer und psychischer Ebene wird geschaffen.
- Die Anforderungen werden dem Entwicklungstand der Adressaten angepasst.
- Emotionen sind erwünscht und dürfen geäußert werden. Auch der/die Pädagoge/in muss und darf authentisch in seinen Emotionen sein.
Angelehnt an das Konzept der Motopädagogik ist die umfassende Handlungsfähigkeit im Kontakt mit dem Pferd das Ziel jeder hippopädagogischen Arbeit. Menschen erlernen den Umgang mit dem Pferd. Sie fühlen sich in der Lage, ein Pferd selbst zu führen. Sie können auf dem Pferd im Schritt und später im Trab reiten, ohne sich festzuhalten. Sie lernen ihre Grenzen einzuschätzen. Diese Erfahrungen fördern ihre Kompetenz und Selbstsicherheit und können in andere Lebensbereiche übernommen werden. Menschen erfahren über Bewegung die Wirksamkeit ihres Handelns. Sie erfahren ihre eigenen Fähigkeiten und können selbstbewusster auftreten.
Für den Einsatz in der Hippopädagogik müssen die Pferde eine vielseitig und gute Grundausbildung haben: an der Hand, an der Longe und unter dem Reiter bzw. der Reiterin. Sie müssen gesund, nervenstark, neugierig und kontaktfreudig sein.
Wichtig ist auch die Gewöhnung an Spielmaterialien und das Turnen auf dem Pferd. Jedes Pferd muss einen guten Ausgleich zur hippopädagogischen Arbeit haben: Weidegang in der Herde, Korrekturarbeit und Abwechslung in der Arbeit. Es gibt
keine besonders geeignete Rasse oder Größe. Beides muss den Haltungs- und Nutzungsbedingungen angepasst sein.
Die Qualifikation
Die Ausbildung zum Hippopädagogen findet in zwei Stufen statt und kann bei Bewegende Pferde - Das Fortbildungszentrum im Allgäu (Günzach) absolviert werden. Voraussetzungen dafür sind eine reiterliche Grundqualifikation (Reitabzeichen), die Grundlagen der Motopädagogik/Psychomotorik (ein Lehrgang mit 200 Stunden).
Ausführliche Informationen gibt es unter www.hippopaedagogik.eu. Die Ausbildung ist zeitaufwendig. Sie kann über mehrere Jahre gestreckt werden. Das ist auch sinnvoll, da nach jeder Einheit genügend Hausaufgaben für die Arbeit vor Ort bleiben.
Die Praxis auf dem Abenteuerspielplatz Panama
Auf dem Abenteuerspielplatz Panama in Dresden wird seit 2005 nach dem Konzept der Hippopädagogik gearbeitet. Die Grundsätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit decken sich in vielen Punkten mit denen der Hippopädagogik: Freiwilligkeit der Teilnahme, Spontanität, Bedürfnisorientierung, Partizipation und die Orientierung an den Stärken. Ziel der Angebote im Offenen Bereich ist nicht vordergründig das „Reiten lernen“ sondern die Beschäftigung mit dem Lebewesen Pferd und die bewegende Erfahrung mit sich selbst. Die Kinder haben viel Spaß bei der Arbeit mit den Pferden. Die Pferde lassen sich gern von den Kindern zur Arbeit holen und können vielseitig eingesetzt werden.
Autorin: Jana Erler (46), Sozialpädagogin, Hippopädagogin
Zum Abschluss noch zwei Beispiele für eine Aufgabe mit und ohne Pferd. Für alle Übungen gilt: Bevor man diese von anderen machen lässt, sollte jeder sie selbst probieren und damit am eigenen Körper erfahren. Dann fällt es auch leichter, diese
Übungen anderen zu erklären.
1. Bewegung fühlen
Dafür werden ein ungesatteltes Pferd und eine erfahrene Führerin benötigt. (Das Pferd sollte genug Rückenmuskulatur als Polster haben, damit weder ReiterIn noch Pferd schmerzen haben.)
- Das Kind sitzt auf dem ungesattelten Pferd und spürt seine Sitzbeinhöcker. Bei Bedarf kann es die Hände zwischen Po und Pferd legen. Es kann so die Bewegungen des Pferdes und die eigene Bewegung fühlen und bewusster wahrnehmen.
- Das Kind kann durch Ausatmen “in den Bauch“ das Pferd anhalten. Der/die Pferdeführerin muss dabei auf das Pferd und den Reiter achten, um dem Pferd das Anhalten zu ermöglichen.
2. Pferd spielen
Eine/r ist der Mensch, ein/e andere/r das Pferd. Das Paar kann sich mit einem Führstrick gegenseitig führen. Dabei hält das „Pferd“ den Karabiner in der Hand. Oder das „Pferd“ hat das Trensen-Gebiss in der Hand und der Mensch führt das Pferd, indem er mit den Zügeln in der Hand dahinter läuft und bei Bedarf auch Stimmhilfen gibt. Jede/r sollte mal „Pferd“ und mal Mensch sein und sich mit seiner/m Führer/in über das Geführt werden austauschen.
Quellenverzeichnis:
www.bewegendepferde.de
Renate Zimmer: Handbuch Psychomotorik. Verlag Herder Freiburg 1999
Juliane Deppisch: Hippopädagogik – Eine neue Anwendungsdisziplin der
Motopädagogik. In: Motorik. Zeitschrift für Motopädagogik und Mototherapie. Hrsg.
Aktionskreis Psychomotorik. Lemgo. Heft 2 1997, Seite 39 ff
Juliane Deppisch: Des Pferd- ein ideales Medium. In: Psychomotorik im Wandel.
Hrsg. Aktionskreis Psychomotorik. Wendler/Irmischer/Hammer. Lemgo 2000
Juliane Deppisch: Reittherapie und mehr: Hippopädagogik. Bewegende Pferde -
Lernen fürs Leben. Praxis der Psychomotorik. 35, 4, 209 -214. 2010