VFDMichel zu DrittSeit 2019 werden auch in Norddeutschland Ausbildungskurse zum Thema Säumen angeboten. 2021 wurde das Säumen in der VFD ARPO als eigener Ausbildungszweig aufgenommen. Neben dem Reiten und dem Fahren steht nun der Ausbildungszweig Säumen bis zum Übungsleiter und Saumlehrer. Es wurde ein eigenständiges Leistungsabzeichen für Säumer entwickelt und in Niedersachsen kann man  beim legendären GRC (Geländereitercup) auch als Säumer teilnehmen.

Macht das Sinn? In der norddeutschen Tiefebene mit Equiden wandern, ist das wirklich Säumen? Braucht es dafür sowas wie einen Ausbildungskurs? Oder kann eigentlich nicht jeder einfach mit seinem Pony los wandern mit einem Rucksack auf dem Pferderücken? Und überhaupt, was soll der Reiz sein mit meinem Tier zu Fuß unterwegs zu sein, wenn es sich doch so sehr zum Reiten anbietet?

VFDMichel zu DrittSo manch einer mag sich diese Fragen gestellt haben, als er zum ersten Mal mit diesem Thema konfrontiert wurde. Und wer bisher noch keinen Kontakt damit hatte, fragt sich vielleicht auch immer noch, was Säumen überhaupt bedeutet.  Wurde noch vor kurzem am ehesten der Rocksaum mit diesem Begriff verbunden, könnte man aktuell den Eindruck gewinnen, es handelt sich um einen trendigen Begriff für das Spazierengehen mit dem Pferd, wenn man sich umschaut was so als Säumen bezeichnet wird.  Doch auch dies trifft es nicht wirklich.

Stattdessen verbirgt sich hinter dem Begriff Säumen ein sehr altes berufliches Handwerk. Als Säumer oder Samer bezeichnet man den Menschen der mit seinem Tragtier Waren transportiert. ( vgl. Wikipedia, 2022) Saum bezeichnet die Traglast und geht auf das lateinische Wort „Sauma“ zurück welches den Tragsattel benennt. ( vgl.: ebd.)

VFDMichel zu DrittSchaut man sich die Geschichte des Säumens an, leuchtet schnell ein, warum es in Mitteleuropa eher in Gebirgsregionen wie den Alpen bekannt ist. Denn dort, wo man mit Karren/ Kutsche und später auch mit motorisierten Fahrzeugen aufgrund des schwierigen Geländes nicht weiter kam, waren Tragtiere die Lösung um Waren zu den Gebirgshütten zu bringen und Handel mit den Völker auf der anderen Seite des Gebirges zu betreiben. Im flachen Gelände jedoch boten Pferde-/ Ochsenkarren und ähnliches viel bequemere Möglichkeiten Waren von A nach B zu transportieren. Mal ganz abgesehen von den vielfältigen Transportmöglichkeiten zu Wasser. So wurden für große Mengen an Waren, wie z.B. beim Torftransport gerne Kähne eingesetzt. Auch hier spielten jedoch Tiere eine wichtige Rolle, indem sie beim sogenannten Treideln vor die Kähne gespannt wurden, um diese durch die Kanäle zu ziehen. Es handelt sich neben dem Segeln um die älteste Form der Binnenschifffahrt und reicht bis ins 8./9. Jahrhundert zurück. Heute wird in Deutschland nur noch an wenigen historischen Orten, z.B. zu touristischen Zwecken getreidelt. (vgl.: Rhein-Main Magazin, 04.2021)

VFDMichel zu DrittDoch zurück zum Säumen, der erheblich älteren Form des Warentransportes (bereits Höhlenmalereien weisen auf den Einsatz von Packtieren zum Warentransport hin). Im unwegsamen Gelände war es die Lösung, um z.B. einen Handel mit dem Dorf im gegenüber liegenden Tal zu ermöglichen. Und während das Treideln mehr oder weniger Geschichte ist, gibt es bis heute weltweit Regionen in denen gesäumt wird. Jedoch vor allem immer dort, wo das Gelände unseren Maschinen Grenzen setzt oder die Menschen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation auf Tragtiere zurückgreifen. So wird weltweit nicht nur im Gebirge, sondern auch in der Ebene, der Wüste oder durch Wälder gesäumt. (vgl.: Zupan: 2021, 5)

Dabei werden keineswegs nur Pferde eingesetzt. Vielmehr haben sich Mulis und Esel, in anderen Regionen der Welt jedoch auch Kamele, Lamas, Jaks und auch Elefanten, Ziegen und Rentiere als Tragtieren bewährt. Selbst Hunde werden zum Teil als Tragtiere genutzt.

Soweit so gut. Doch wie kommt es, dass in jüngerer Zeit auch in Norddeutschland immer mehr Menschen das Wandern mit Tragtieren für sich entdecken und sogar Ausbildungskurse besuchen, um die Techniken des Bastens (das Beladen der Packtiere) und Säumens zu erlernen? Und das eher nicht, um mit ihren Tieren Alpentouren zu planen, sondern im Flachland unterwegs zu sein.

Sicherlich gibt es da nicht den einen Grund, sondern vielmehr unterschiedliche Aspekte die das Säumen auch im Flachland reizvoll machen. Zunächst scheinen immer mehr Menschen zu entdecken, wie sehr es der Beziehung zwischen Mensch und Pferd zuträglich ist, wenn man hin und wieder gemeinsam zu Fuß unterwegs ist. Eine Begegnung auf Augenhöhe und das gemächliche Tempo laden ein, gemeinsam die Natur zu entdecken und einander auf entspannte Weise näher zu kommen. Hinzu kommt, dass das Säumen eine tolle Möglichkeit eröffnet Zeit mit der ganzen Familie verbringen zu können, ohne sich dabei zwischen Pferd und Familie/ Partner entscheiden zu müssen. Eine Tour bei der das Tier das Equipment zum Picknick oder auch für ein Campingwochenende trägt kann auch den nichtreitenden Familienmitgliedern Freude machen. Und ich denke es kommt noch ein weiterer wesentlicher Aspekt hinzu. Ähnlich wie das Pferd sind wir Menschen von Natur aus Läufer. Ein Spaziergang oder sogar eine Wanderung trägt wesentlich zur eigenen Fitness und dem Wohlbefinden bei, befriedigt es doch letztendlich ein evolutionäres Bedürfnis (vgl. Schomann:2018, 167). Und beim Säumen habe ich nun sogar die Möglichkeit gleichzeitig mein geliebtes Tier mit zu bewegen. Wir können gemeinsam unser Tempo finden, miteinander die Natur entdecken und an schönen Orten verweilen. Säumen bietet eine nachhaltige Form der Naherholung, bei der wir dennoch in kürzester Zeit innerlich so weit weg sind von unserem oftmals turbulenten Alltag. Wir reduzieren, wenn auch nur vorübergehend, unser Leben auf ein paar elementare Dinge. Ich kann problemlos alles mitnehmen, was ich für einige Tage zum Leben brauche und lerne dennoch mich zu reduzieren, denn je mehr ich einpacke, desto größer die Last meines tierischen Freundes. Und unterwegs sind nur wenige Dinge wichtig: Haben Mensch und Tier zu essen und zu trinken? Welchen Weg wollen wir gehen?  Wo können wir übernachten? Und wie können wir unterwegs für unsere Sicherheit/Gesundheit sorgen? Zudem wird beim Säumen besonders deutlich erfahrbar, dass Mensch und Tier partnerschaftlich unterwegs sind. Das Tier übernimmt ein Teil der Verantwortung, indem es auf die zu tragende Last achtet, mit entscheidet welche Stellen passierbar sind und auf Gefahren aufmerksam macht. Mensch und Tier sind aufeinander angewiesen und lernen unterwegs immer mehr aufeinander zu achten. Eine Erfahrung die sich mit Sicherheit auch auf das Miteinander auf dem Reitplatz o.ä. auswirkt. Zudem bietet das Säumen eine Aufgabe für all die Tiere, die aus verschiedenen Gründen nicht geritten werden können. So sah ich mein Shetty regelrecht aufblühen, als sie als Packpony mit auf Wanderritt durfte und eine wichtige Aufgabe bekommen hat. 

VFDMichel zu DrittIch denke, dass gerade in einer technisierten und digitalisierten Zeit ein derartiges Unterwegssein, einen ganz besonderen Wert bekommt. Eine Säumertour lässt uns wieder erfahren, dass wir Teil der Natur sind, konfrontiert uns mit uns selbst und auch mit unseren Grenzen und hilft uns wieder intensiv zu spüren. So unterwegs können wir Klarheit für unser Leben gewinnen, Kraft tanken und einfach Durchatmen. So gesehen stellt das Säumen nicht nur für Pferde/ Esel und Mulibesitzer eine Bereicherung dar, sondern auch für Menschen die keine reiterlichen Ambitionen verfolgen.

Schomann beschreibt in seinen Ausführungen zu dem sehr eindrücklich die Wirkung des gemeinsam in einer Gruppe von Menschen und Tieren unterwegs zu sein: „

Die Fortbewegung im Gänsemarsch entlastet […]nicht nur physisch, sondern auch mental. Während ich dem erfahrenen Leittier hinterhertrotte, kann ich weitgehend abschalten und mich dem steten, rhythmischen Andante der Abteilung überlassen. Eben diese heilsame Monotonie macht ein Gutteil der Faszination von Karawanenreisen aus: das Metrum der Schritte, das Einswerden mit der Bewegung, die tranceartige Selbstvergessenheit. Das Wandern mit Tieren gerät zur Bewegungsmeditation, zur Zen-Reise.“ ( ebd.)

Wanderer zum Beispiel entdecken das Säumen für sich, um ihrer Leidenschaft nachzugehen ohne weiter den schweren Rucksack tragen zu müssen und zudem noch ein wenig mehr Ladekapazitäten zu haben.

Ich denke, dass das Säumen einen sehr wertvollen Beitrag leisten kann, damit wir in dieser Welt der Reizüberflutungen, unsere Wurzeln finden und unseren Weg klären können - auch dort wo es keine Berge gibt.

Allerdings ist das Säumen keineswegs so anspruchslos wie es auf den ersten Blick wirken könnte. Für das Tragtier ist es etwas völlig anderes eine tote Last zu tragen statt einen Reiter. Sobald wir mehr mitnehmen wollen, als nur die Packung Kekse gibt es auch beim Packen ein paar Dinge zu beachten, damit die Tour fürs Tier nicht zur Tortur wird. Für ein sicheres und entspanntes Unterwegssein das allen Freude macht, braucht es auch eine gute Kommunikation zwischen Mensch und Tier, die erlernt sein will. Auch ein Tragtier muss auf seine Aufgaben vorbereitet werden und entsprechend trainiert sein, damit es diese ohne Schaden bewältigen kann.

Hier kommt nun die Ausbildung ins Spiel. In den Ausbildungskursen kann ich all diese Dinge lernen und bekomme zudem noch ein Stück historisches Wissen über die alte Tradition des Säumens nahe gebracht. Ich lerne die unterschiedlichen Packsättel und Packsysteme kennen, lerne die Sprache der Säumer und die Ausbildung des Saumtieres. So kann ich daraus für mich und mein Tier das passende auswählen.  Eine gute Ausbildung dient zudem der Unfallprävention und dem Tierwohl und hilft so den Traum einer schönen gemeinsamen Tour Wirklichkeit  werden zu lassen. Vielleicht dürfen wir dann ähnliches erleben wie Albert Schweizer als erfahrener Säumer während eines Vortrages 2020 beschrieben hat:

„Wenn man über Wochen mit seinem Tier unterwegs ist, holt jeden das noch nie Erlebte ein. Meine stärkste "Hilfe" die ich dann einsetzen kann ist Vertrauen - gegenseitiges. Damit haben wir schon die schwierigsten Situationen gemeistert.“

In diesem Sinne bietet uns das Säumen (auch ohne Berge) eine wunderbare Möglichkeit uns und unseren Tieren näher zu kommen, sich besser zu verstehen und zu achten. Vielleicht ist es genau das, was mich als  VFD Übungsleiterin für Wanderreiten und Säumen motiviert gerade für diese Art des Unterwegsseins mit unseren Tieren zu werben.

Gez.: Tanja Michel ( VFD Übungsleiterin Wanderreiten und Säumen)

Literatur:

Schomann, Stefan (2020): Das Glück auf Erden. Reisen zu Pferd. Zürich, Unionsverlag

Zupan, Dennis (2021): Säumen weltweit. Historische Ursprünge in ausgewählten Weltregionen und heutige Fortführung im Alltag der Bewohner , Rosenheim

Wikipedia (2022): https://de.wikipedia.org/wiki/Saum ( 12.10.2022)

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