Aktuelle Diskussionen zeigen, wie fragwürdig Trainingsmethoden und Hilfsmittel sein können, und das gilt auch für so manche Ausrüstung, die zum Einsatz kommt. Es lohnt sich immer wieder zu Hinterfragen.
So ein Ausrüstungsgegenstand ist der „Sperrriemen“ oder der Kinnriemen zum Kombinierten Reithalfter, wie der Sperrriemen seit ein paar Jahren von der FN genannt wird.
Viele Mythen zu seiner Herkunft gibt es, die Dank einer Initiative von Heiner Sauter, Fachbeirat Ethik; im Herbst 2017 aufgeklärt werden konnten, nachdem die Änderung der LPO der FN von 2016 bei der Equitana 2017 diskutiert wurde und zu einer Änderungsinitiative führte.
Das älteste Bilddokument des Kombinierten Reithalfters mit „Sperrriemen“, das gefunden werden konnte, stammt von den Olympischen Reitwettbewerben 1956 in Stockholm und zeigt den US-amerikanischen Springreiter Frank Chapot deutlich erkennbar mit einem „Kombinierten Reithalfter“. Was aber nie gefunden werden konnte ist eine Dokumentation zu Sinn und Zweck dieser Ausrüstung.
Erst 1979 fand das Kombinierte Reithalfter Eingang in die „Richtlinien für Reiten und Fahren, Bd.1“, ohne dass es konkret näher beschrieben wurde. Seine Funktion lässt sich nur in Verbindung zum Hannoverschen Reithalfter interpretieren, welches an gleicher Stelle beschrieben wird.
Bei diesem heißt es 1912 in der „Reitvorschrift D.V.E.Nr.12, Seite 17“:
„Sie bezweckt, das bei der Dressur des Pferdes oft vorkommende Aufsperren des Mauls und seitliche Verschieben des Unterkiefers zu verhindern und dadurch das Pferd zu zwingen, nicht nur mit dem Unterkiefer, sondern auch mit dem Genick nachzugeben.“
1979 heißt es in der „Richtline für Reiten und Fahren Bd. 1, Seite 19“:
„Es überträgt den Druck des Gebisses auf das Nasenbein und verhindert das gelegentlich vorkommende Aufsperren des Pferdemaules und das seitliche Verschieben des Unterkiefers. Dadurch wird das Pferd veranlasst, nicht nur den Unterkiefer, sondern auch im Genick nachzugeben.“
In der H.Dv.12 von 1937 und der daraus hervorgehenden „Richtlinie für Reiten und Fahren Bd.1“ von 1953 bis 1978 wurde der Zweck nicht behandelt, aber die korrekte Verschnallung ausführlich beschrieben:
„Der Nasenriemen soll etwa 80mm über dem oberen Nüsternrand liegen, der Kinnriemen nur so eng verschnallt sein, dass das Pferd noch kauen kann.“
Mittlerweile ist das Kombinierte Reithalfter der „Standardzaum“ in den zeichnerischen Darstellungen der Richtlinie, ohne, dass der Zweck erläutert wird. So ist es nicht verwunderlich, dass es bis heute vielfach zum Zuschnüren des Pferdemauls missbräuchlich und Tierschutzrelevant eingesetzt wird. Anlässlich der Equitana Open Air im Sommer 2020 wurde dies in extremer Weise in einem vermeintlichen „Lehrvideo“ gezeigt.
Das Zuschnüren des Pferdemauls war nie ein Element der Pferdeausbildung.
Bis 1937 war der Standardzaum ein Zaum ohne Nasenriemen. Für Pferde mit unruhigem Maul war temporär der Einsatz des Hannoverschen Reithalfters vorgesehen, das mit der H.Dv. 12 von 1937 zum Standard-Ausbildungszaum für Remonten wurde, dem nach ca. einem Jahr die Kandare folgte.
Der vielfache Einsatz des „Hannoverschen Reithalfters“ während des 2. Weltkriegs war einzig dem Mangel geschuldet. Nie gab es einen Zusammenhang zu Verletzungen des Unterkiefers. Diese Behauptung geht auf eine kritische Auseinandersetzung von Udo Bürger mit Sperrhalftern (Englisches Reithalfter, Hannoversches Reithalfter) in „Vollendete Reitkunst“, 1959 zurück, die er aber nie belegte und wiederholte! Darin schon warnt er vor dem falschen Zuschnüren des Pferdemauls.
Der „Sperrriemen“ bringt keinen zusätzlichen Nutzen zum Nasenriemen des Englischen Reithalfters, sondern vielmehr verstärkt er die schädliche Wirkung eines falschen, tierschutzwidrigen Einsatzes.
Der Einsatz des „Sperrriemens“ ist ein krasses Beispiel, wie versucht wird durch den Einsatz von Ausrüstung an der Eliminierung von Symptomen zu arbeiten statt sich um die Ursachen zu kümmern. Anhand von Röntgenbildern belegt Dr. Witzmann, dass der Einsatz von „Sperrriemen“ die asymmetrische Lage von gebrochenen Gebissen im Pferdemaul nicht verhindert.
Die H.Dv.12 von 1937 enthält die fundamentale Ausbildung von Pferd und Reiter, um gesund und sicher im Gelände zu reiten. Einige Elemente der vorbereitenden Ausbildung, gewöhnen an die Ausrüstung, entsprechen dem damaligen Kenntnisstand und lassen sich heute durch subtilere Methoden ersetzen.
Sperrhalfter, die es in vielfältiger Weise neben dem Hannoverschen Reithalfter gab, sind eine Ausrüstung, die richtig eingesetzt in der Ausbildung ihren Nutzen haben. Ihrem Zweck nach waren sie nicht als Dauerzäumung gedacht und sind heute falsch verschnallt ein tierschutzwidriges Zwangsmittel, das im Sperrriemen eine Steigerung fand.
Daher haben „Sperrriemen“ falsch eingesetzt keinen Platz im tiergerechten Umgang und scheinen, korrekt verschnallt, nur „schmückendes Beiwerk“ zu sein.
Die Entstehungsgeschichte des Sperrriemen
Literatur:
Reitvorschrift D.V.E.Nr 12 vom 29. Juli 1912
Reitvorschrift H.Dv.12 vom 29.Juli 1912 Ausgabe 1926
Reitvorschrift H.Dv.12 vom 18.8.1937
Richlinien für Reiten und Fahren Bd.1 1958 bis 1978
Richlinien für Reiten und Fahren Bd.1 1979
Vollendete Reitkunst, Udo Bürger, 1959