Mentaltraining eines Wanderreitpferdes
Teil I: Zeige ihm, dass du für es sorgst und dass es dir vertrauen kann
Bevor du mit deinem Pferd die ersten Schritte ins Gelände gehst, sollte es dich als seinen Führer anerkannt haben, dem es gerne und bereitwillig folgt. Dazu gilt es, ihm zunächst zu beweisen, dass du sein Vertrauen auch verdienst. Das können ganz simple Dinge sein wie füttern, putzen – einfach da sein, aber auch Bodenarbeit. Wenn du spürst, dass es sich unwohl fühlt, horch in das Pferd hinein, ergründe die Ursache und finde einen Weg, damit es deinem Pferd besser geht. Es wird es dir danken. Beispielsweise gibt es Pferde, die in extreme Panik geraten wenn sie angebunden sind (leider wissen wir ja nicht immer deren Vorgeschichte). Es kann schon Wunder wirken, diese z.B. einfach zunächst gar nicht anzubinden oder den Strick nur lose um den Anbinder zu wickeln. Manch einem mag es schwer fallen, so lange am Boden „rumzutüddeln“, kann es kaum erwarten in den Sattel zu steigen. Aber Geduld zahlt sich in dem Fall besonders aus. Höre auf dein Pferd – es wird dir zeigen, wenn es für neue Aufgaben bereit ist. Was sind schon ein paar Wochen oder Monate im Vergleich zu den vielen, vielen Jahren, die man das Pferd als treuen Begleiter an seiner Seite hat?
Tipp zum Weiterlesen: Mark Rashid „Der auf die Pferde hört“
Teil II: Desensibilisierung
Viele gehen an das Thema ran „Heute mach ich Plane, morgen mach ich Flatterbänder, übermorgen mach ich Klappersack…“. Es geht aber nicht um DIE Plane, DIE Flatterbänder oder DEN Klappersack. Wenn wir unser Pferd tatsächlich auf alles vorbereiten wollten, was uns da draußen möglicherweise erwartet, werden wir nie fertig. Es geht vielmehr darum, das Pferd zu schulen, auf unsere Reaktion zu achten und sich dementsprechend zu verhalten. Und es bietet sich an, dies in den alltäglichen Umgang mit einfließen zu lassen. Das können z.B. Eimer oder Putzutensilien sein, die uns „aus Versehen“ aus der Hand fallen, einer mit einer Schubkarre, der über den Hof poltert, am Sattel befestigte Stricke oder Taschen, die am Pferd „rumtanzen“, spielende Kinder (sind immer gut!), Hunde, die aus dem Nichts angeschossen kommen, wenn wir sie rufen, eine Sprudelflasche die beim Öffnen zischt…. Es gibt schier unendlich viele Möglichkeiten…Je nach Gemütsverfassung des Pferdes kann man hier die Reize entsprechend dosieren von sehr behutsam bis „Elefant im Porzellanladen“. Wichtig! Wenn sich ein Pferd erschrickt oder panisch wird keinesfalls streicheln oder mit Worten wie „Ist ja guuuut“ beruhigen! Warum? Das Pferd empfindet dies natürlich als Lob auf seine Reaktion und wird sich das nächste Mal wieder genauso verhalten. Vielmehr sollten wir dem Pferd ein Fels in der Brandung sein, bei welchem es Schutz sucht bzw. den es fragt, ob die Situation jetzt als bedrohlich einzustufen ist oder nicht. Dazu gehört auch, gewissen Situationen dem Pferd gegenüber zu ignorieren. Wenn es sich z.B. erschrickt und zusammenzuckt weil es irgendwo in der Ferne was entdeckt hat, während es geputzt wird – einfach unbeirrt weiter putzen als wäre nichts gewesen. Sehr hilfreich kann auch immer die Gegenwart eines weiteren Pferdes sein, welches mental gefestigt ist und ihm zusätzliche Ruhe und Sicherheit vermittelt.
Teil III: Die ersten Schritte im Gelände
Beim ersten Mal im Gelände sollte das Pferd niemals allein sein sondern immer in Begleitung eines erfahrenen Pferdes. Hier können wir uns ruhig den Herdentrieb zunutze machen. Entweder nimmt man es als Handpferd mit an einem Pferd, mit dem es sich gut versteht und welches bereits „geländeerprobt“ ist oder man reitet zu zweit oder in einer kleinen (!) Gruppe. Da nun viele neue und unbekannte Reize auf das Pferd einströmen (auch wenn wir diese kaum wahrnehmen mögen), es sich möglicherweise noch im Wachstum befindet und lernen muss, sich auszubalancieren, sollten die ersten Ritte ins Gelände auch kurz sein und die Zeit draußen langsam gesteigert werden. Anfangs möglichst die gleichen Strecken reiten, um dem Pferd Sicherheit und Routine zu vermitteln.
Noch ein Wort zum Thema Pfützen: Viele Reiter sind der Meinung, ihr Pferd müsste jetzt unbedingt lernen, durch Pfützen zu gehen. Dann kämpfen Sie ewig mit ihrem Pferd – was für beide Seiten recht zermürbend sein kann. Oftmals bieten sich aber genug Gelegenheiten, diese ohne große Mühe zu umgehen. Pferde wählen immer den Weg des geringsten Risikos und es ist völlig normal, dass sie nicht freiwillig durch eine kleine Pfütze gehen, wenn links und rechts davon der Weg trocken ist. Das macht für ein Pferd absolut keinen Sinn. Ist allerdings der komplette Weg überschwemmt, werden die Pferde nach mehr oder weniger Zögern durchaus durchs Wasser gehen… Prinzipiell gilt natürlich auch immer: Gibt deinem Pferd Zeit. Zeit um sich in den neuen Situationen zu Recht zu finden, Zeit zum Nachdenken, Zeit, selbst die richtige Lösung zu finden. Und belohne jeden noch so kleinen Versuch!
Lernen ist ein lebenslanger Prozess. Wir Menschen bekommen die ersten Dinge im Kindergarten beigebracht, gehen dann 10 bis 12 Jahre zur Schule, machen danach unsere Ausbildung oder studieren usw. - da sollten wir von den Pferden nicht verlangen, dass sie innerhalb kürzester Zeit alles wissen, können und perfekt sind.
In diesem Sinne – Happy trails!
Text und Fotos: Kerstin Hanisch Horse Travel Europe