Der Grasweg als Biotop Unschädliche Trittspuren, schädliches Aufdüngen  

VON WOLFRAM WAHRENBURG  

Graswege, das heißt: pferdeschonender Grund, auch einmal schneller zu bereiten – es heißt aber auch: unpassierbare oder gar nicht mehr vorhandene Wege, die befestigt, untergepflügt oder landwirtschaftlich mitgenutzt wurden. Als Ökologe beobachte ich seit Jahrzehnten den Niedergang der Qualität unbefestigter Wege als Biotop.  

Kein Widerspruch:  der Weg als Biotop  
Nicht ganz so offensichtlich wie bei einer Sumpfwiese oder einem Magerrasen ist die Biotopfunktion naturbelassener Wege. Vor 50 Jahren sahen Gras- oder Erdwege in den meisten Fällen noch entschieden vielfältiger aus als heute.  Naturfeste Wege werden im wahrsten Wortsinn geprägt durch Einfluss von Tritt und, seit Erfindung des Rades, Befahren. Folgen sind Bodenverdichtung und direkte Schädigung des Bewuchses, wodurch je nach Intensität die Hauptspur oft unbewachsen oder lückig bleibt.   
Es gibt eine Reihe von Insekten, die genau diese Struktur als Lebensstätte benötigen wie beispielsweise Ameisenlöwe, Sandlaufkäfer oder manche Wildbienen, die in dem harten Boden ihre Niströhren anlegen. Die Wildbienen suchen den Pollen für ihre Brut in den angrenzenden Flächen, etwa Obstwiesen, wo sie bei der Bestäubung der Bäume helfen.   
In Ackergebieten können Pflanzen der Ackerbegleitflora, die in den Äckern bekämpft werden, kurzzeitig auf dem Weg überdauern. Früher konnte man am Wegrand Kamille und andere Kräuter ernten. 
Graswege in Grünlandgebieten, besonders wenn dort nur Heu gewonnen wird, können in ihrer ökologischen Qualität den Magerrasen nahekommen. Sie heben sich dann optisch immer gut von den umgebenden Wiesen ab.  

Trittpfade stören so wenig wie Wildwechsel  
Verdichtete Trittspuren sind etwas Natürliches, sie ähneln Wildwechseln. Auch Graswege mit zwei Fahrspuren unterscheiden sich davon nur marginal, sie weisen praktisch zwei Trittspuren mit einem guten Meter Abstand auf. Für Spinnen zum Beispiel kein Hindernis, im Gegensatz zu befestigten 2,50 Meter breiten Wirtschaftswegen, auf denen einer älteren Untersuchung zufolge Spinnen noch vor der Mitte umkehren.  Wer beim Durchstreifen verschiedener Landschaften aufmerksam beobachtet, wird bemerkt haben, dass trockene, feuchte, sandige oder tonige Wege ganz unterschiedliche Pflanzen beherbergen. Es gibt konkurrenzschwache Pflanzenarten, die in der dichten Grasnarbe einer Wiese rasch ausgedunkelt werden. Diese Arten finden wir regelmäßig auf lückigen, aber wenig frequentierten Wegen und an Wegrändern. Darunter sind auch gefährdete Arten, die nach der Intensivierung im angrenzenden Grasland nicht mehr existieren können. Auf artenreichen mageren Graswegen kann man ziemlich unbedenklich sein Pferd grasen lassen, die Tiere  finden dort das eine oder andere aus der Kräuterapotheke. 

Ökologische Entwertung Wege haben in der Agrarlandschaft seit jeher eine Ausgleichsfunktion: Sie bieten Lebensraumqualitäten und Funktionen, die in der Umgebung fehlen. Eine Nutzung durch Ernten des Aufwuchses fand, sofern lohnend, schon immer statt. Dadurch sind Wege ursprünglich magerer gewesen als die angrenzenden Wiesen oder Äcker.  Inzwischen ist diese Funktion als Ausgleichsfläche vielerorts verloren gegangen, beispielsweise durch Flurbereinigung oder die Befestigung mit Schotter oder Asphalt.  Doch Flurbereinigung ist nur eine Ursache für das Verschwinden von naturfesten Wegen. In Ackergebieten werden Wege mitunter einfach unter den Pflug genommen, obwohl sie vermarkt sind, also auf eigenem Flurstück verlaufen. Werden Wege in Hanglagen als Vorgewende missbraucht, wird der Pflug über dem Weg statt über dem Acker gedreht, werden sie auf der Hangseite jedes Jahr höher und bekommen ein Quergefälle, dass sie bei Frost oder Nässe für Pferde unpassierbar macht.  Eine weitaus schädlichere Ursache ist die Aufdüngung und das intensive Mit-Bewirtschaften von Graswegen in Grünlandgebieten. Wenn die Wege mit den angrenzenden Fettwiesen zusammen gegüllt und häufig gemäht werden, verlieren sie ihre Funktion als kaum genutzte Ausgleichsstreifen in der Landschaft und damit ihren Biotopwert. Und sie sind selbst für Reiter mit Ortskenntnis oft nicht mehr zu erkennen. Warum ist das so schädlich? Weil der Dünger auf den Graswegen den Bewuchs dichter und produktiver, also hochwüchsiger werden lässt. Damit ist der Bestand für den Landwirt interessant, er wird ebenfalls abgeerntet und bewirtschaftet wie die angrenzende Fettwiese. Von den Pflanzen halten sich lediglich die konkurrenzstarken Arten, die nicht nur das Befahren, sondern auch den häufigen Schnitt ertragen, der Rest wird von ihnen ausgedunkelt. Wenn der offene Boden und die Sonne am Boden fehlen, verschwinden auch die Tierarten, die genau das benötigen, etwa Wildbienen oder Ameisenlöwen. Übrigens ist das häufigste Gras solcher Wege das Deutsche Weidelgras, das unter diesen harten Bedingungen giftig werden kann. Dort können wir also nicht einmal guten Gewissens unterwegs die Pferde grasen lassen. Noch extremer sind die Stoffeinträge in die naturfesten Wege in Ackergebieten: Dünger und Pestizide werden gedankenlos über die Nutzflächen hinaus ausgebracht oder verweht. Ich kenne Wege, da fliegt der Kunstdünger von beiden Seiten auf den Weg, am Ende steht das Knaulgras dort doppelt so hoch wie das Getreide nebenan. Ihr Biotopwert ist nahe null.  

Das Sterben der Wege  
Im Zuge von Flurneuordnungen wird in aller Regel das Wegenetz verringert. Wobei zuvor vorhandene Wege nicht immer in der Flurkarte eingetragene Wege gewesen sein müssen, sondern es gibt oft auch nur alte Überfahrtsrechte. Schaut man auf alte Flurkarten, so enthalten die viel weniger Wege, denn die Bauern sind sich einfach gegenseitig über die Felder gefahren.  Von Seiten der Landwirtschaft werden heute große, zusammenhängende Schläge gewünscht, vor allem lange Schläge. Dadurch entfallen viele Wege, welche die Feldflur zuvor viel stärker gegliedert haben.  In Bereichen mit überwiegendem Ackerbau werden Wege dann meist befestigt angelegt. Hier kann es sich lohnen, während des Flurneuordnungs-Verfahrens auf das Anlegen von wegbegleitenden Grasstreifen oder den Erhalt von Graswegen – auch zum Reiten – hinzuwirken. Allerdings verschwinden solche Streifen leicht wieder, wenn Pferdeleute, Anwohner und Naturschützer nicht gut darauf aufpassen. Auch bei Flurbereinigungen müssen Graswege nicht zwangsläufig verschwinden. In Baden-Württemberg zum Beispiel wird zuvor eine „ökologische Ressourcen-Analyse“ erstellt, bei der unter anderem Graswege erfasst und bewertet werden. Solche Verfahren liegen bei den Bundesländern.  

Naturfrevel für den Radtourismus Ein aktueller Grund für das Verschwinden von naturfesten Wegen: Fahrrad-Tourismus! Für Radfahrer wird vieles, das zuvor Gras oder Naturboden war, ohne viel Federlesens asphaltiert, und das auch dort, wo aus landwirtschaftlicher Sicht kein Bedarf dafür besteht. Es gibt Radwege-Karten, in die nur asphaltierte Radwege aufgenommen werden. Da wird dann schon mal öffentliches Geld locker gemacht für eine einseitige, umweltschädliche Tourismusförderung, ohne andere Nutzergruppen oder Umweltexperten zu fragen. 

Erschienen in der Pferd&Freizeit Ausgabe 2021/1 

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